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An der Schwelle – zum Jahreswechsel

Geschrieben von | 31. Dezember 2022 | Erfahrungsberichte, Allgemein

An der Schwelle Text zum Jahreswechsel

An der Schwelle

Es ist Ende Dezember, meine Schritte sind schwer, die Wanderstiefel dampfen. Wir sind an der Schwelle angekommen – hier endet das Alte und hier beginnt das Neue. Ein imposanter Ort auf einer Anhöhe, der einen unbeschreiblichen Blick auf die zurückliegende Strecke freigibt.

Mit einem Schnaufen setze ich den Rucksack neben mir ab. Er plumpst schwer zur Erde. Gedankenversunken reibe ich mir die schmerzenden Stellen auf den Schultern und lasse mich auf eine Bank fallen. Mein Herr setzt sich neben mich. Ich sehe mich um und schaue auf den Weg, den ich gekommen bin. Und während mein Blick den gelaufenen Weg abtastet, spüre ich dem Erlebten nach. Da waren freundliche Abschnitte, offenen Wiesen die Leichtigkeit brachten, da waren Hügel, Täler, anstrengende Anstiege, und auch tränenreiche Abstiege, Momente der Entmutigung an denen ich mich einfach auf einen Stein setzte. Aber es ist unverkennbar mein Weg. Hier und da habe ich Abzweigungen genommen, andere nur passiert. Wie wäre es wohl dort weitergegangen. Da waren Passagen, an denen ich mir Blasen geholt habe. Manchmal peitschte mir der Regen ins Gesicht, der Sturm durch die Haare, manchmal schien die Sonne auf mein Gesicht und ein frecher Wind spielte mit mir. Einiges habe ich versucht alleine zu meistern, habe mich durchgekämpft oder bin davongehüpft und vom Weg abgekommen. Und dann war Er es, der mir den Rucksack trug oder eine Hand reichte, voranging wenn es schwierig wurde und mir Wasser reichte, wenn ich nicht mehr konnte. Ich spüre seinen liebevollen Blick auf mir, während ich der gelaufenen Strecke nachsinne. Er braucht nichts zu sagen.

Ich schließe die Augen und lehnte mich zurück. Als ich die Augen öffne fällt mein Blick auf den Rucksack. Er steht dort vor mir, prall gefüllt, die Nähte spannen an einigen Stellen, Die Schnallen erfassen die letzten Löcher der Lederriemen. Mein Herr kniet sich daneben und fängt an die Riemen zu lösen und den Inhalt auszupacken: schöne Erinnerungsgegenstände, herrliche Begegnungen, freudige Dankbarkeit, Reste vom Proviant, aber auch schwere Erinnerungen, Altlasten, unnützer Ballast oder unfertige Pläne kommen zum Vorschein. Alles wird offenbar und ich halte die überraschende Inventur gut aus. Seine vertraute Art, wie er das Erlebte anschaut, hier und da die Stirn runzelt, lächelt, bei manchen Gegenständen sehe ich Tränen in seinen Augen aufsteigen.

ER spricht: „Gib mir dein altes Jahr. Gib mir die Höhen und Tiefen, gib mir die Erfolge und Niederlagen, gib mir Schönes und Schweres, gib mir deinen Jubel und deine Tränen. Lege es in meine Hand.“  – All das lege ich nach und nach in seine Hände, die die Dinge sorgsam in seinem Rucksack verstauen. Ein bisschen beschämt bin ich nun schon, dass mein Gepäck nun nicht mehr auf meinen Schultern liegt. Aber mit einer ungeahnten Leichtigkeit setzt sich mein Herr den Rucksack auf.

Er geht zur Schwelle und schaut mich wartend an. Ich schließe meinen Rucksack und setzte ihn auf. Leer und leicht liegt er auf meinem Rücken. Ich fühle mich befreit und unbeschwert. Mein Herr streckt mir einladend die Hand entgegen. Ich ergreife sie – sie ist kraftvoll, warm und vertraut. Ich spüre die Narben in seiner Handinnenfläche… Tränen steigen mir in die Augen, sie sind eine Mischung aus Berührtheit, Scham, Dankbarkeit und Liebe. Ich versuche die Tränen wegzublinzeln und drehe meinen Kopf noch einmal zurück. Ein letzter Blick zurück an der Schwelle… und dann treten wir hindurch- über die Schwelle ins Neue.

Weit kann ich auf unseren neuen Wegabschnitt nicht sehen. Nebel nimmt uns die Sicht und gibt nur den Blick auf wenige Meter frei. Vermutlich zögere ich einen Moment, denn der Herr drückt sanft meine Hand und sagt „Ich bin bei dir“. Und so setzten wir uns in Bewegung. Nicht wissend was kommt, aber unbeschwert, weil er alles trägt und nicht sorgend, weil er an meiner Seite ist. Mir wird leicht bei diesem Gedanken und mein Herz hüpft freudig. Meine Schritte werden beschwingter und mutiger. ER ist mit mir, der „Ich bin der Ich bin“, ER ist mein Weg und ER ist mein Leben – auch auf dem neuen Wegabschnitt…

(Verfasserin Jana Brinkmann)

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